Eine Exkursion in der Hölle
Diese Fassung beschreibt meine Erfahrung mit der Droge LSD, die ich als 17-jähriger Gymnasiumsstudent gemacht habe. Der Text stammt auch aus der Zeit.
Ich möchte hier unter eine wundersame Geschichte darlegen; eine Geschichte so wundersam, bis sie unwirklich erscheint, und trotzdem ist sie passiert…
Durch massive Tür, durch grinsende Kluft in der Raumzeit, durch Pforte auf die Ewigkeit, habe ich mit klopfendem Herz in das Unbekannte hereingetretten. Ich war nervös und meine Hände haben gefroren. Ein bedrückendes Angstgefühl hat sich in meinem Magen eingesiedelt. Ich konnte nicht mehr zurück, es war zu spät… Ich bin in eine Finsternis hineingeraten und bevor sich meine Augen auf sie anpassen könnten, begann ich einsinken. Die umliegende Luft ist dichter geworden und die Realität selbst ist schwerer, scharfer, wirklicher geworden und begann in stumpfen regelmäßigen Pulsen auf meine erschrockene Seele zu plänkeln. Ich habe mich langsam ein bisschen beruhigt und ergab mich dem monotonen Rhythmus. Es war wie ein warmer Zufluss, der aus mir nach kurzer Weile die Reste meiner Angst ausgeschwommen hat und half mir, sich zu konzentrieren. Ich begann jetzt alles viel lebendiger wahrzunehmen, mit einer seltsamen Ruhe. Alles war so, wie es sein sollte. Ich verspürte den ruhigen regelmäßigen Puls meines Herzens, sowie auch die Pulse meiner Schlagader, die warmes Blut über meinem Körper verteilten. Mein Bewusstsein hat sich ausgebreitet, ich wurde mir einer riesigen Menge von Details bewusst, die mir vorher entgangen sind. Ich habe die Muster auf dem Teppich wahrgenommen und die kleine Spinne, wie sie in der Ecke ihr Netz zusammengesponnen hat. Ich wurde mir jeder delikaten Vibration in der Struktur von Raumzeit bewusst. In dem Augenblick hatte ich ein Tausend Sinnen und mit allen habe ich die Welt wahrgenommen. Ich habe mich auf kein konkretes Ding konzentriert und trotzdem war ich mir allen bewusst. Alles schien in vollem Zusammenklang zu sein, alles hatte seine ruhige Ordnung und ich wollte überhaupt nichts ändern. Alles war perfekt. Als ob die Zeit gefroren hat. Man brauchte sich nur forttragen lassen… es war aber nur eine scheinbare Ruhe, wie vor einem Sturm, wie wenn die Natur vor einem Erdbeben starrt.
Ohne mich es zuerst bemerkt zu haben, passierte eine Veränderung, plötzlich. Hitzeattaken begannen mich zu begießen und es sauste in meinen Ohren, ich konnte den Blutdruck in meinem Kopf hören. Die Ruhe und Harmonie waren vorbei. Das einzige, worauf ich mich erinnern kann, sind die Farben. Sie wurden alle viel lebendiger und heller. Das ganze Lichtspektrum fiel jede Sekunde wie Blitze auf meine Netzhaut ein und bildete in meinem Bewusstsein einen bunten Widerschein der Wirklichkeit. Die Rote saugte sich in mein Gehirn wir rote glühende Kreise auf. Die Blaue zerplatzte sich in Tausende Schatten und spiegelte in sich die Bläue der azurnen Meere, sowie auch die kalte Dunkelheit des Abendhimmels. Alles war unglaublich lebendig und schwärmte mit riesiger Energie.
In dem Augenblick drang mich eine Gedanke wie ein Blitz durch und siedelte sich für die nächsten ein paar Minuten fest in meinem Herzen ein. Ich wurde mir des Unterschieds zwischen dem Wort und der Realität bewusst. Wer könnte mir garantieren, dass die rote Farbe, die in dem Augenblick meine Sinne so reizte, ähnlich auch für die anderen Menschen aussieht? Wäre es möglich, dass ein anderer Mensch die rote Farbe grün wahrnimmt? Das einzige gemeinsame war das Wort „rot“ – ein inhaltsloser Ausdruck, der seinen Inhalt erst in dem Bewusstsein des Subjekts erwirbt. Was bedeutete das? Das bedeutete Babylon, Chaos, unzählige verwirrte Leute, die nach gemeinsamer Verständigung streben, jeder von ihnen spricht aber über etwas ganz anderes. Ein Angstgefühl hat mich durchgedrungen. Ist jeder von uns zu einer ewigen Subjektivität und Einsamkeit verurteilt, ohne die Möglichkeit eigene Eindrucke und Erlebnisse mitzuteilen? Wie verwunderlich und reich das seelische Leben ist! Tausende Eindrucke, kleine Verstimmungen und Gefühle tanzen in einem ewigen Drama des Bewusstseins – und das alles für nichts? Nur für mich? Ohne die Möglichkeit, sich selbst der Welt zu öffnen? In dem Moment brauchte ich verzweifelt etwas wirkliches, etwas objektives, wessen ich halten könnte. Die absolute Realität, die für mich immer vorher so selbstverständlich gewesen war, hat sich in einen strömenden Fluss subjektiver Existenzen und Perspektiven verwandelt. Jeder hat seine Perspektive, seine Wahrheit, seine Version der Realität. Die Tiere, die Pflanzen, jedes Atom in dem Universum existieren in eigenem Raum und Zeit und empfinden nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, in dem sie gefangen sind. Ich war verzweifelt und brauchte eine Rettung.
Die Ereignisse haben allmählich an Gefälle zugenommen. Ich senkte tiefer und tiefer und ich hörte auf, meine Umgebung wahrzunehmen. Die Zeit hat sich dieses Mal stark beschleunigt und sauste herum wie ein Wirbelsturm. Ich stürzte mit riesiger Geschwindigkeit unbekannt wohin. Ich konnte den Fluss eigener Gedanken kaum folgen, ich wurde in einem reißenden Strom getragen. Die Bilder und Gedanken kreisten mit schwindelnder Wut und ich geriet in ihr Wirbel, inmitten eines riesigen Malstroms, der mich in seine Mitte herunterriss. Die ganze Realität sich deformierte, sich verkrümmte und windte. Die Farben in meinem Kopf blinkten wie ein Stroboskop, die Geräusche kamen zu mir aus einer riesigen Entfernung und waren seltsam deformiert. Ich hörte Quaken, Winsele und Quengelei. Vor den Augen hatte ich seltsame Muster, die in sich eine merkwürdige Geometrie hatten. Es war nicht die einfache Geometrie der Strecken und Quadrate, die wir aus den Schulbänken kennen, es war vielmehr eine Fraktalgeometrie, die wir aus den Computerbildschirmen kennen. In einem dynamischen Spiel rollten Visionen der persischen Teppichen und ihrer Muster vor meinen Augen, miteinander verflochtene Blumen und Ornamente und Girlanden. Strenge mathematische Figuren haben sich in meinem Gesichtsfeld hin und her übergossen, überflossen, überblendet und umgewandelt in einem dynamischen Tanz. Es war atemberaubend. Die moderne Kunst war im Vergleich dazu wie ein Kinderspiel. Ich schaute meine Hand an. Sie war komplett grün und phosphoreszierte, lila Linien haben auf meiner Haut gewandert, die an Höhenlinien auf einer Mappe erinnerten.
Ich geriet in das Zentrum des Wirbels. Die Welt dort oben war für mich unwirklich und weit entfernt. Mein altes Leben schien mir längst vergangen. Das ganze menschliche Leben schien mir wie ein schmerzhafter Dornenweg durch ein Tränental, voll von unglücklichen zweibeinigen Kreaturen, die die Leere und Sinnlosigkeit ihrer Leben mit Vielzahl von lächerlich wichtigen Tätigkeiten auszufüllen versuchten. Als ob jemand auf mein Herz ein Filter aufgeklebt hatte, das nur Unglück, Trauer, Sünde, Schmerz und Tod hereinließ.
Die Situation wurde langsam unerträglich. Bin ich für alle Ewigkeit verdammt, in meiner dunklen Schädel mit Tausenden verzweifelten Gedanken eingesperrt zu sein, in die nur ein verzehrtes Abbild der äußeren Wirklichkeit durchdringen kann? Auch die Sonnenstrahlen, die sich auf meinen Augenwimpern brachen, wirkten krankhaft und reizten mich in meinem Gehirn. Mein Ego stürzte langsam mit einem grausamen Gebrüll und Grimasse in sich selbst ein.
Ich geriet in eine riesige kosmische Senkgrube. Mein Bewusstsein war durch einen unerträglichen Gestank der Scheißereien und Drecken des ganzen Weltalls beinahe abgetötet. Durch ein riesiges Loch in der Decke schossen wie ein Wasserfall ständig neue und neue Sauereien direkt auf meinen Kopf. Es waren die Fäkalien der menschlichen Psyche, die Drecke des menschlichen Egoismus. Aller Hass, Eigensucht und Neid stürzten auf mich in einem wuchtigen Strom und ich begann darin zu ertrinken. Ich war wahnsinnig mit Leiden. Es war alles meine Schuld. Ich hatte meinen Teil darin. War ich besser als die Anderen? Lebte ich besser? Nein. Die Aussage, dass die anderen auch, nicht nur ich, goss nur weiteres Öl in das Feuer. Das waren die letzten Krampfzuckungen meines Egos. Mein Ego zuckte und zappelte und springte wie in einem glühendem Öl. Es setzte sich die widerlichsten und schändlichsten Masken auf, die ich mich schildern schäme. Und dann verschwand es mit einem entmenschten Geschrei in der letzen Agonie. Und die Senkgrube verschwand damit.
Plötzlich war ich von der Last dieser Welt und meiner Sünde befreit. Ich löste mich in einem breiten Ozean der ekstatischen Freude auf. Ich war der Morgenhimmel und die warmen Strahlen der Sonne beleuchteten die klare Bläue meiner Seele und spiegelten sich im wasserhellen Ozean meines friedlichen Seins. Ich war der Liebesgesang eines Vogels, die Düfte einer wilden Rose, ich war ein Frühlingsschauer und ein Kuss, eine aufgeblühte Wiese, ein Regenbogen… Ich war ein kosmisches Kind und presste meine kleinen Hände und Beine zu meiner Brust und löste mich zwischen den Gestirnen auf. Mein altes Ich ist untergegangen, aber ein neues, frisches wurde geboren und das war ein Bisschen Schmerz wert. Ich war wie der berühmte Phönix, der aus eigener Asche wieder aufstand. Das einzige, was zwischen mir und Gott steht, bin ich selbst.